Der Wind kommt immer von vorn


»Das Fahrrad ist die selbstverständliche natürliche Ergänzung des menschlichen Körpers!«

Felix Rexhausen, »Beste Fahrt«


Es wäre eine Begegnung, wie sie merkwürdiger – und vielsagender – bei Radtouristen kaum vorkommen könnte:
Zum einen ein aus einem Radsportkatalog entsprungener „Paradiesvogel“, ganz in buntgescheckte, hautenge Kleidung gehüllt und durch Helm und Schutzbrille von der Außenwelt abgeschirmt, der sich auf einem mit bulligen Reifen laut surrenden 24-Gang-Luxusbike abstrampelt und mit seiner garantiert wasserdichten Packtaschenausstattung der Lieblingskunde seines Fahrradhändlers ist.
Zum anderen ein Zeitgenosse, der mit im Wind flatternder Kleidung auf einem von seinen Vätern ererbten Drahtesel, bis Kopfhöhe mit schwankendem Gepäck beladen, fröhlich pfeifend einen Hügel hinuntersaust. Falls er nicht vom Seitenwind aus der Kurve getragen wird, verschafft ihm das Gewicht seines Fahrrades und des Gepäcks genügend Schwung, damit er die ersten Meter des nächsten Hügels wieder hinaufrollt. Dann tritt er kraftvoll in die Pedale, gibt laut schnaufend kurz darauf auf, schimpft über das Fehlen einer Gangschaltung und schiebt seinen Packesel bis zur nächsten Kuppe. Und das Spiel beginnt von neuem, vielleicht diesmal sogar mit einer frischen Brise von vorn.

Gegen den Wind radeln. Der Kampf mit dem Wind macht Spaß, sofern man ihn noch gewinnt, was – theoretisch – dem Paradiesvogel dank der vielen Gänge leichter fallen wird. Tatsächlich ist aber immer wieder zu beobachten, daß die super-gestylten Radler mit ihrer Schaltung gar nicht umzugehen wissen und ständig schalten, ohne je den passenden Rhythmus zu finden. Das Problem hat der Freak mit seinem alten Drahtesel natürlich nicht, er verliert das „Duell“ mit dem Gegenwind ohnehin.
Wenn sich der Wind also als gleich stark oder gar stärker erweist, hört der Spaß auf. Eine radfahrerische Binsenweisheit, gewiß, aber ihre Kenntnis ist eine der wichtigsten Voraussetzungen für die Planung und Durchführung einer Fahrradreise. Sei es, daß man als Reisevorbereitung seine eigene körperliche Leistungsfähigkeit angemessen steigert, sei es, daß die Reiseroute von vorneherein auf „Rückenwind“ hin angelegt ist. Wie der Kampf gegen den Wind kann eine Radtour Spaß machen (meistens) oder zur Frustration führen (selten); entscheidend dafür ist vor allem das benutzte Fahrrad.

Wer sich für den Spaß entscheidet, sollte nicht einfach ins nächste Kaufhaus oder Fahrradgeschäft gehen und sich der ’fachlichen Beratung’ eines Verkäufers anvertrauen. Über Art, Güte und Ausstattung des gewünschten Fahrrades sollten Sie sich vor dem Kauf klar sein: der Verwendungszweck als Einkaufs-, Freizeit-, Sport-, Reise-, Renn- oder Gebrauchsrad ist ausschlaggebend. Nicht jedes Rad eignet sich für jeden Zweck und jeden Benutzer. Bei Klapprädern klappt meist nicht nur der Rahmen, sondern auch der Radfahrer zusammen. Das Hollandrad hat diesen Namen nicht nur wegen seines Aussehens, sondern auch wegen seiner auf bestimmte geografische und gebrauchspraktische Gegebenheiten eingeschränkten Tauglichkeit. Mit unsinnigem, aber teurem Zubehör fehl-ausgestattete Sporträder halten die Versprechen der Händler nicht ein. Das Rennrad ist für den täglichen Gebrauch im Straßenverkehr weder zugelassen noch geeignet. Grobstollige MTB-Reifen eignen sich zwar für unbefestigte Wege, stellen auf der Straße aber eher ein Handicap dar. Kurz – Sie sollten sich bei der Auswahl eines Fahrrades nicht weniger Zeit zum Aussuchen nehmen als beim Kauf eines Autos.

Hilfestellung gibt dieses Buch. Es informiert über mögliche Varianten und Ausstattungen von Fahrrädern, die sich für eine Radtour, Radwanderung oder Fahrradreise eignen. Es gibt alle nötigen Hinweise für die Planung, Vorbereitung und Durchführung einer Reise. Es bietet vollständige Materialien für jeden, der mit dem Rad auf Reisen gehen will. Obwohl eine Vielzahl fahrradtechnischer Erläuterungen gegeben werden, ist dies keine Fahrrad-Reparaturanleitung. Und ebenso wenig ein Reiseführer für Touren in bestimmten Ländern und Regionen. Beides würde den Rahmen dieses Buches sprengen, entsprechende Literaturhinweise finden Sie am Schluß. Der »Serviceteil« am Ende des Buches geht ausschließlich auf solche Defekte und Reparaturen ein, die erfahrungsgemäß auf einer Reise häufig auftreten.

Benutzen Sie das vorliegende Buch als „Frustschutzmittel“. Denn Frustration droht jedem, der sich eine unnötige – und unnötig schwere – Überausstattung aufbürdet oder (wie der andere eingangs zitierte Zeitgenosse) eine Fahrradreise mangelhaft vorbereitet antritt.
Mit einem Ihren Bedürfnissen angepaßten Rad kann bei Beachtung der für Planung und Durchführung gegebenen Ratschläge eine Radreise ein wahrer Genuß sein – dafür sorgt in der Regel schon die „alternative“ Fortbewegungsweise. Alternativ ist an einer Fahrradtour nämlich vor allem die Wahl des Transportmittels, eben des Fahrrades, und das damit verbundene Erfahren (im doppelten Sinne) der Landschaft. Ansonsten ist der Radfahrer genauso Tourist wie alle Auto-, Bahn- oder Flugreisenden.
Eine Fahrradreise vermittelt vor allem eines: Freude an der Bewegung, am hautnahen Erleben von Landschaft und Witterung. Das können Sie bei einer Reise durch Norddeutschland ebenso erfahren wie in Irland, Skandinavien, der Bretagne oder bei einer Rundfahrt durch Thailand. Suchen Sie sich das Ziel Ihrer Wünsche aus – Radfahren kann man überall. Auch bei Gegenwind!

[Startseite]