- Mit dem Fahrrad auf Reisen:
Südliches Polen
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- Um es gleich vorweg zu nehmen:
Nahezu jeder, der einmal mit dem Fahrrad durch Polen getourt ist,
vertritt die Ansicht, dies sei ein vergleichsweise sicheres
Reiseland. Amsterdam etwa dürfte ein heißeres Pflaster
sein als Warschau, und auf dem Land herrschen in Polen ohnehin noch
die guten alten Zeiten und Sitten...
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- Das in diesem Band
vorgestellte Radelgebiet umfaßt die südliche Landeshälfte
Polens, die von Deutschland im Westen bis zu Weißrußland
und der Ukraine im Osten reicht, von Posen (Poznan) und Warschau
(Warszawa) in der Landesmitte bis zu den Sudeten und Beskiden im
Süden.
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- Die in diesem Buch
beschriebenen Radel-Etappen wollen, so weit und wo immer es geht,
den folgenden Anforderungen genügen:
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- Sie lassen sich sinnvoll mit
anderen Etappen verbinden
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- finden auf asphaltierten Straßen
statt
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- sind anhand der Beschreibung
zweifelsfrei auffindbar
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- benutzen die beschaulichste bzw.
verkehrsärmste Variante
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- führen durch sehenswerte
Orte und Regionen
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- enden an einem Ort mit
Übernachtungsmöglichkeit(en).
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- Nicht nur die bekannten
Nationalparks und großen alten Städte des südlichen
Polens will dieser Radreiseführer erschließen, sondern
auch abgelegenere, nicht minder reizvolle Regionen wie etwa das
wenig touristische Eulengebirge (Gory Sowie) oder die Solskaer
Waldheide (Puszcza Solska).
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- Die beschriebenen Etappen
folgen dabei alten Handelswegen wie der "Route der
Adlerhorste", durchqueren bäuerliche Regionen, wo das Land
aufgrund von Erbteilung Flickenteppichen ähnelt, und
durchstreifen mediterran anmutende Landschaften, wo Tabak und Hopfen
gedeihen. Sie klettern durch Riesengebirge und Tatra, besuchen die
reizvollsten polnischen Nationalparks und erkunden
"Polnisch-Sibirien". Sie wandern an der dünn
besiedelten ukrainischen Grenze entlang, führen durch bewaldete
Hochplateaus und sanft hügelige Tiefebenen, setzen über
Flüsse hinweg und treffen immer wieder auf
Landschaftsschutzgebiete, die sich für Ausflüge oder
einfach nur einen "faulen Tag in guter Luft" anbieten.
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- Auch wenn das südliche
Polen weder über Meeresküste noch ausgedehnte Seenplatten
verfügt, müssen Badefreunde nicht aufs nasse Element
verzichten. Wo sich keine Stauseen anbieten, findet sich mit
Sicherheit irgendwo ein Freibad. Denn Wasser, Wald und Berge, das
sind die Elemente, zu denen sich jeder Pole hingezogen fühlt.
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- Keine Radreise ohne
Städtebummeln: Hirschberg (Jelenia Góra), Schweidnitz
(Swidnica), Liegnitz (Legnica) und Zamosc haben den Zweiten
Weltkrieg nahezu unversehrt überstanden. Wie durch ein Wunder
hat auch Krakau, Polens schönste Stadt, keinen Kratzer
abbekommen. Insgesamt wurden in der südlichen Hälfte
Polens weniger Städte vom Krieg versehrt als in der nördlichen
Landeshälfte. Fast möchte man vom Glück im Unglück
sprechen, denn die aufwendig-komplizierten Bau- und Kunstwerke aus
Spätgotik, italienischer Renaissance und Hochbarock hätten
sich, anders als die backsteingotischen Ritterburgen und Kirchen im
Norden, wohl kaum alle rekonstruieren lassen.
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- Zweifellos sind Breslau,
Krakau und Warschau sehenswerte Städte, aber nur wer mit dem
Fahrrad unterwegs ist, nimmt auch all die unbekannten,
verschwiegenen Dörfer wahr, die zur Landschaft gehören wie
das Mariengras zum Wodka Zubrowka. Zu den "Sehenswürdigkeiten"
solcher Orte zählt im besten Falle ein altes Holzkirchlein oder
ein verfallenes Herrenhaus, oft aber nur "Stockrosen hinter
Staketenzäunen". Was sie auszeichnet, ist eine Atmosphäre
zwischen Melancholie und Heiterkeit.
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- Und auch nur wer mit dem
Fahrrad reist, kommt stärker in Kontakt mit Land und Leuten.
Wie ein bunter Blumenstrauß nimmt sich am Ende die Sammlung
von Begegnungen und Begebenheiten aus. Selbst die eine oder andere
"Distel" wirkt darin spätestens im Rückblick
interessant.
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- Apropos "Distel". In
guter wie in schlechter Weise verbindet die Vergangenheit Polen und
Deutsche. Von Ressentiments werden Radreisende heute jedoch nur noch
ganz selten etwas verspüren, das letzte tragische
Geschichtskapitel stört die Beziehungen von Mensch zu Mensch
nicht mehr. Auffallend ist vielmehr die freundliche
Hilfsbereitschaft, die jedem zuteil wird, der sich Polen
aufgeschlossen nähert.
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- Gewiß, bis das Land, im
touristischen und umweltmäßigen Sinne, überall
"europäisches Niveau" erreicht hat, werden Oder und
Weichsel noch viel Wasser transportieren müssen. "Jakos to
bedzie" es wird schon werden lautet eine beliebte
polnische Redensart, die einen Optimismus widerspiegelt, der vielen
Westeuropäern fremd ist. Nicht unterschätzt werden sollte
dabei der von Improvisation und Spontaneität ausgehende
landestypische Charme. Und überhaupt, wer sich für eine
Radreise durchs südliche Polen entschließt, wird ein
liebenswert unvollkommenes Land mit ungeahnt schönen Seiten
entdecken. Ein Hauch Pioniergeist gehört dazu.
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- Wer gern dem Singen des Windes
in den Wipfeln von Kiefern- und Birkenwäldern lauscht, wer
Gebirgsseen und Freilichtmuseen mag, wer Alleen liebt und beim
Radeln gern ein schattenspendendes Laubdach über sich spürt,
wer lieber Pferdewagen statt Autos auf der Straße sieht, wer
mittelalterliche Marktplätze, prächtige
Renaissance-Rathäuser und ungewöhnliche Kirchen schätzt,
wer auch nicht davor zurückschreckt, an die deutsche Geschichte
erinnert zu werden, ja, der sollte sich nun wirklich auf den Weg
machen. Es ist nicht weit und kostet nur ein Lächeln als
Eintritt.
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