Mit dem Fahrrad auf Reisen: Baltikum


„Mit dem Fahrrad ins Baltikum? Das liegt doch da bei Russland.“ So oder ähnlich könnten bei manchen Menschen die Reaktionen sein, wenn man ihnen erzählt, was man plant. Für viele ist das Baltikum noch sehr weit weg. Es behauptet zwar zum Glück (fast) keiner mehr, dass es noch zur Sowjetunion gehört. Doch für die meisten ist es immer noch ein eher ungewöhnliches Reiseziel, weit ab von den Routen herkömmlicher Reisewege.


Dabei liegt das Baltikum eigentlich zentral in Europa. Zumindest haben das Wissenschaftler ausgerechnet. So befindet sich der Mittelpunkt Europas im südlichsten der baltischen Staaten, in Litauen.

Zudem haben die baltischen Länder einiges zu bieten. Sie locken mit herrlichen Naturstränden und feinem Sand genauso wie mit Kulturerben, Gastfreundlichkeit und idyllischen kleinen Orten. Einerseits repräsentieren sich die drei Staaten Estland, Lettland und Litauen als modern, andererseits ist es gerade auf dem Land die Einfachheit, die man noch heute vorfindet.


Estland im Norden mit seinen zwei großen Inseln Saaremaa und Hiiumaa ist dabei der Modernste der drei Staaten. Kabelloses Internet an jeder Ecke, ein perfekt ausgeschildertes Radwegenetz und dennoch ein traditionelles Völkchen, das zahlreiche Sagen und Märchen kennt, die noch heute gerne weiter erzählt werden. Zudem wird sich jeder Skandinavienfreund wohl fühlen in Estland. Durch seine Nähe zu Finnland und durch den historischen Einfluss der Schweden könnte man Estland getrost zu Skandinavien zählen.


Litauen im Süden hingegen ist zwar auch modern, jedoch ist zum einen der polnische Einfluss zu spüren, den unser Nachbarland einstmals in Litauen hatte. Zum anderen sind hier auch noch zahlreiche sozialistische Strukturen aus der Sowjetvergangenheit zu erkennen, zumindest rein äußerlich. Plattenbauten in den Städten und das einzige baltische Atomkraftwerk, das zudem noch im Tschernobyl-Stil errichtet wurde, lassen auf den ersten Blick abschrecken. Doch dafür bietet es neben der freundlichen Bevölkerung eine schöne und abwechslungsreiche Landschaft. An der Ostsee grenzt an das Kaliningrader Gebiet mit der Kurischen Nehrung einer der schönsten Küstenabschnitte in ganz Europa. Im Landesinneren hingegen, vor der Grenze zu Belarus, befinden sich hübsch restaurierte Kurorte und eine waldreiche Seenlandschaft, ähnlich wie in Mecklenburg oder in den Masuren.


Lettland liegt genau zwischen den beiden anderen baltischen Ländern und hat von beiden ein bisschen. Im Vergleich zu Estland und Litauen hat es wohl die wenigsten Sehenswürdigkeiten, die mit einer Auszeichnung versehen sind, doch dafür ist Lettland waldreich, ruhig und entspannend. Der Höhepunkt ist hierbei die Hauptstadt Riga, die zugleich die größte Stadt des gesamten Baltikums ist.


Alles in allem ist eine Reise in das Baltikum ein Muss, und die beste Möglichkeit, die drei Länder zu erkunden, bietet sich per Rad. Das Radwegenetz in Estland, die weiten und autoarmen Straßen in Lettland und die interessanten Radwanderwege Litauens machen das Radeln angenehm. Und auch wenn es die höchste Erhebung nur auf 318 m schafft, so ist das Baltikum nicht nur flach. Besonders im Osten aller drei Staaten geht es rauf und runter. Doch die Steigungen sind moderat und halten sich in Grenzen. An der Ostsee hingegen kann schon mal eine frische Brise das Radeln erschweren. Doch es ist nie so schlimm, als dass man verzweifeln müsste. Es gibt ohnehin genügend Herrenhäuser und Sehenswürdigkeiten, an denen man eine kurze Pause einlegen möchte.


Allerdings darf man auch nicht vergessen, dass drei Staaten auch drei Hauptstädte bedeuten. Und Hauptstädte bzw. größere Städte im Allgemeinen sind für die meisten Radreisenden mit Stress und Ärger verbunden. Das kann auch für Tallinn, Riga und Vilnius gelten. Doch glücklicherweise sind sie trotz Hauptstadtstatus nicht viel größer als eine mittelgroße Stadt in Deutschland. So ist auch diese Hürde im Baltikum zu schaffen.


Wer sich von Unkenrufen abschrecken lässt, weil es ja so furchtbar gefährlich sei, durch die ehemaligen Sowjetrepubliken zu radeln, der hat es nicht anders verdient, als die drei Perlen am östlichen Ostseerand zu verpassen.


In diesem Sinne bleibt dem Radreisenden nur noch eines zu wünschen: Head Reisi (Estnisch), laimigu celojumu (Lettisch) und geros keliones (Litauisch), was soviel bedeutet wie „gute Reise“.



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